Dr. Thilo Pahl, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK Türkei

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Im vergangenen Jahr hat die Türkei ihr Engagement für die Einhaltung und Erreichung der Klimaziele demonstriert, indem sie das Pariser Klimaabkommen ratifiziert hat. Welche Maßnahmen zu Erreichung der Ziele sind nun vorgesehen, und wo können sich konkrete Marktchancen für deutsche Unternehmen ergeben?

Die Türkei hat bereits Maßnahmen in ihre Energiestrategie integriert, welche das Erreichen des Null-Emissionen-Ziels bis 2053 unterstützen. Für das Jahr 2022 ist die Formulierung weiterer unterstützender Maßnahmen geplant. Bis 2023 soll der Anteil erneuerbarer Energien an der türkischen Energieerzeugung auf 30 Prozent gesteigert werden.

Bereits heute plant die Türkei, unabhängiger von Energieimporten zu werden, die eigene Energiesicherheit und -effizienz zu verbessern und das volle Potenzial der Erforschung von weiteren Möglichkeiten im Bereich der nachhaltigen Energiegewinnung auszuschöpfen. Damit einhergehend wird vornehmlich, neben weiteren Anwendungsfeldern wie der emissionsfreien E-Mobilität oder der Dekarbonisierung des Industriesektors durch den Einsatz von grünem Wasserstoff, der Fokus auch weiterhin auf erneuerbaren Energien wie der Windenergie liegen. Im Zeichen ihrer Energiewende bietet die Türkei folglich weiterhin große Potenziale für deutsche Unternehmen. Anreize sowie Fördermaßnahmen sollen dabei ein attraktives Umfeld für ausländische Investitionen schaffen.

Die strategische Lage der Türkei prädestiniert das Land dazu, ein internationaler Energietransitkorridor zu werden. Wie sehen die allgemeinen Rahmenbedingungen für Investitionen aus, und was sollten deutsche Unternehmen bei einem Markteintritt bedenken?

Die geographische Lage der Türkei als Verbindungsstück zwischen dem Westen und dem Osten, die Nähe zu europäischen Ländern sowie die vorherrschenden Marktchancen und Entwicklungspotenziale machen die Türkei zu einem strategischen Investitions- und Produktionsstandort für den Energiesektor.

Vor einem Markteintritt empfehlen wir deutschen Unternehmen, sich zunächst über die juristischen Rahmenbedingungen zu informieren. Die wohl häufigste Investitionsform in der Türkei ist die firmeneigene Gründung einer Kapitalgesellschaft vor Ort. Das Steuersystem der Türkei ist in Grundzügen mit dem Deutschlands vergleichbar, wohingegen keine Gewerbesteuer existiert und somit die Steuerlast im Vergleich geringer ist. Als Herausforderung ist die omnipräsente Bürokratie mit entsprechenden Bearbeitungszeiten zu nennen. Dennoch erleichtert eine voranschreitende Digitalisierung einzelne Prozesse. Türkische Geschäftsleute sind bei einer Reise nach Deutschland dazu verpflichtet, ein Geschäftsvisum zu beantragen. Mit der COVID19-Pandemie wurden jedoch Online-Meetings etabliert, welche eine reibungslose Kommunikation ohne vorheriges Reisen ermöglichen.

Die Türkei stellt finanzielle Fördermaßnahmen wie die Aufhebung von Zollgebühren sowie Steuerermäßigungen bereit. Im Bereich der erneuerbaren Energien bildet die Herstellung von Turbinen, Generatoren und Windfahnen einen der Investitionsbereiche mit besonderer Priorität, was den Zugang zu zusätzlichen Fördermaßnahmen ermöglicht. Als AHK Türkei stehen wir interessierten Unternehmen bei ihren Investitionsvorhaben in der Türkei mit einer Vielzahl von Dienstleistungen zur Seite.

Im aktuellen Factsheet wird Windenergie mit als bedeutendste und für die Zukunft wachstumsträchtigste erneuerbare Energieform beschrieben. Wie ist die aktuelle Situation auf dem türkischen Windenergie-Markt?

Die Türkei verfügt über enormes Windenergiepotenzial im Bereich On- und Offshore. Auch die Regierung der Türkei hat das Potenzial von Wind als effiziente Energiequelle erkannt und als solche in ihrer Strategie fest verankert. So soll bis zum Jahr 2023 die Leistung der Windenergie auf 20.000 MW steigen, wobei momentan (inklusive im Bau befindlicher und lizensierter Projekte) 11.000 MW als Gesamtkapazität ausgewiesen werden. Die größten Windenergiepotenziale der Türkei befinden sich u.a. in den Regionen Marmara und der Ägäis.

Deutsche Unternehmen sind bereits heute im türkischen Energiemarkt vertreten. Das Wissen und der Erfahrungsschatz deutscher Firmen wird auch weiterhin für die zukünftige Entwicklung sowie Investitionen vor Ort eine tragende Rolle spielen. Zu den deutschen Akteuren im türkischen Windenergiemarkt zählen u.a. Nordex oder Enercon, welche im Bereich der in Betrieb genommenen Turbinen als Marktführer gelten. Des Weiteren sind deutsche Firmen in Bereichen wie Stromerzeugung, Projektentwicklung als auch der Bereitstellung von Ausrüstungen, Komponenten und Messtechnik sowie als Dienstleister in der Türkei aktiv.

Im Rahmen des Geschäftsreiseprogramms der Exportinitiative Energie findet vom 28.03. bis 01.04.2022 eine virtuelle Reise zur Windenergie in der Türkei statt. Welche Potenziale der Zusammenarbeit im Anwendungsfeld Windenergie sind zu erwarten?

Im Rahmen der virtuellen Geschäftsreise haben die teilnehmenden Firmen die Möglichkeit, Einblicke in den türkischen Windenergiemarkt zu erhalten und wertvolle Informationen über das Investitionspotenzial sowie Marktchancen und -bedingungen zu erfahren. Potenziale für eine Zusammenarbeit und den Markteintritt sind vor allem in den Bereichen Planung, Konstruktion, Wartung und Repowering von Windkraftanlagen, der Standortsuche und Auswertung des Windpotenzials, dem Projektmanagement im Anlagenbau, der Projektentwicklung und Herstellung von Komponenten von Windkraftanlagen zu verzeichnen.

Die mit steigenden Investitionen und Geschäftsbeziehungen einhergehenden positiven Folgen wie z.B. Synergie- und Skaleneffekte sowie Wissens- und Technologietransfers stärken nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, sondern fördern die Marktentwicklung in der Türkei und schaffen so zukünftig weiteres Marktpotenzial für deutsche Unternehmen. Insbesondere im Bereich der Windenergie kann der türkische Markt von den Erfahrungen, dem Wissen und den Technologien deutscher Unternehmen profitieren. Aufgrund der strategischen Bedeutung der Windenergie im Rahmen der Dekarbonisierung und der Energiewende werden die Zeichen hier auch zukünftig auf Wachstum stehen.