Markus Kemper, Abteilungsleiter Marktberatung und stellvertretenden Geschäftsführer der AHK Spanien und Miguel Gfall, Projektleiter der Marktberatung, im Interview zum Markt des Monats

Markus Kemper, Abteilungsleiter Marktberatung und stellvertretenden Geschäftsführer der AHK Spanien und Miguel Gfall, Projektleiter der Marktberatung, im Interview zum Markt des Monats

© AHK Spanien

Es heißt, Spanien befinde sich derzeit in einem neuen Goldrausch bei erneuerbaren Energien. Könnt ihr das bestätigen?

Definitiv. Der Markt für erneuerbare Energien hierzulande befindet sich schon seit einiger Zeit im Aufschwung. Photovoltaik und Windenergie sind ausgereifte Technologien, die angesichts der hervorragenden natürlichen Bedingungen in Spanien auch ohne jegliche Subventionen schon seit Jahren wettbewerbsfähig sind. Gleichzeitig wird auch die Entwicklung der grünen Wasserstoffindustrie in Spanien von dem starken Ausbau der erneuerbaren Energien begünstigt. Hier winken auch Exportchancen.
Trotz der durch COVID-19 verursachten Rezession nimmt Spanien den dritten Platz in der EU für neu installierte PV-Leistung ein, nach Deutschland und den Niederlanden.

Woran liegt das?

Zahlreiche europäische und nationale Strategien und Pläne führen dazu, dass im großen Stil in die Bereiche Energieeffizienz und erneuerbare Energien investiert wird. Spanien ist das größte Empfängerland des europäischen Wiederaufbaufonds (NGEU) und erhält bis ins Jahr 2026 140 Mrd. EUR. Die spanische Regierung strebt an, diese Hilfen in die Modernisierung und Transformation der Wirtschaft zu investieren.
Im Rahmen des nationalen Aufbau- und Resilienzplans fördert die spanische Regierung gezielt erneuerbare Energien mit insgesamt 3,17 Mrd. EUR. Unter anderem sollen Gebäude und die Industrie stärker mit regenerativen Energien versorgt werden. Außerdem werden erneuerbare Energien in der Landwirtschaft, für die Klimatisierung und den Wärmebedarf im Dienstleistungssektor, und die Energiewende der Industrie gefördert. Auch der Ukrainekrieg sorgt mit gestiegenen Strompreisen für eine steigende Nachfrage nach Lösungen für den Eigenverbrauch.

Welche Auswirkungen hat der Boom auf die Chancen für deutsche KMU?

Die positiven Entwicklungen der Branche bieten ausgiebige Chancen für deutsche Anbieter. Deutschland ist der wichtigste Beschaffungsmarkt für spanische Firmen. Produkte „Made in Germany“ gelten als verlässlich und werden in sensiblen Sektoren (wie z.B. dem Strommarkt) trotz höherer Preise bewusst nachgefragt. Deutsche Anbieter profitieren dabei von ihrer langjährigen Erfahrung mit Eigenverbrauchsanlagen. Auch in der Produktion von grünem Wasserstoff bieten sich Potenziale dank führender Unternehmen aus Deutschland und der starken Förderpolitik Deutschlands.

Wind- und Solarenergie sind bereits gut etabliert in Spanien. In welchen Bereichen befindet sich der Markt noch im Aufbau? Gibt es ungenutzte Potenziale?

Fast alle landwirtschaftlichen Betriebe in Spanien sind in circa 30 großen Unternehmensgruppen integriert. Die Einbindung dieser Gruppen in die Umsetzung von Biogasanlagen wäre ein außerordentlich wichtiger Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasen, zur ökologischen Verbesserung und zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. Der Ministerrat hat im März diesen Jahres den Biogas-Fahrplan bewilligt, welcher einen deutlichen Ausbau und diverse Förderungen vorsieht.

Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt im gezielten Ausbau von Effizienzlösungen. Energetische Sanierung soll im Laufe des Jahrzehnts die Energieeffizienz von insgesamt 1.200.000 Wohnungen verbessern. Als weiteres Ziel sollen perspektivisch Heizungs- und Warmwassersysteme von durchschnittlich 300.000 Wohnungen/Jahr energieeffizient modernisiert werden.

Einer der wichtigsten und zeitgleich energieintensivsten Produktionssektoren in Spanien ist die Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Sie steht beim Energieverbrauch an zweiter Stelle (nur hinter der Eisen- und Stahlindustrie) und verantwortet 14 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Industrie. Um Energiekosten zu senken setzen die Unternehmen stark auf erneuerbare Eigenverbrauchsanlagen. Genauere Informationen zu diesem Sektor und möglichen Markteintrittsstrategien finden Sie in der aktuellen Zielmarktanalyse.

Welche spannenden Zukunftsprojekte sind bereits geplant?

Die begonnenen und geplanten Wasserstoff-Initiativen versprechen eine steigende Dynamik in diesem Sektor in Spanien. Im Dezember 2021 wurde eine Anlage für erneuerbaren Wasserstoff in Lloseta auf Mallorca in Betrieb genommen. Dabei handelt es sich um das erste Projekt zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im industriellen Maßstab in Spanien.

Die bisher geschmiedeten Allianzen in diesem Sektor zeigen, dass sowohl branchen- als auch länderübergreifend Kooperationschancen bestehen. Seit Februar 2022 können Vorschläge für bahnbrechende Projekte eingereicht werden. Die gesamte Förderlinie des Ministeriums für ökologischen Wandel und demografische Herausforderung (Miteco) für grünen Wasserstoff beträgt 150 Mio. Euro. Die ausgewählten Projekte müssen bis September 2025 durchgeführt werden.

Nennenswert ist zudem das urbane Megaprojekt „Madrid Nuevo Norte“, eines der größten stadtplanerischen Vorhaben in Europa. Es handelt sich um die Gestaltung eines völlig neuen Business- und Finanzdistrikts, der Wohnungen und den modernsten Bahnhof Spaniens beinhaltet. Das Projekt gilt als Vorzeigemodell der nachhaltigen Stadterneuerung. Durch die Isolierung der neuen Gebäude sowie die Nutzung erneuerbarer Energiequellen soll die Energieeffizienz im Gebäudesektor gesteigert sowie zur Dekarbonisierung beigetragen werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt zudem auf der nachhaltigen Mobilität innerhalb der Stadt.

Wie können sich deutsche KMU in diesen zukunftsträchtigen Sektoren positionieren?

Der gute Ruf, den deutsche Produkte und Lösungen für ihre Qualität und Innovation genießen, ist definitiv ein wichtiges Argument, wenn es um den erfolgreichen Vertriebsaufbau in Spanien geht. Dennoch besitzt die Nähe zum spanischen Kunden eine noch größere Bedeutung. Dies ist, wie auch in Deutschland, einfach eine Frage des Vertrauens. Im Falle der Zusammenarbeit mit lokalen Partnern profitiert die deutsche Seite von bestehenden Netzwerken, was in der Regel eine vergleichsweise schnelle Markteinführung erlaubt. Wenn die Lösungen zudem zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis angeboten werden können, sind die spanischen Kunden erfahrungsgemäß sehr offen für deutsche Lösungen.

Gleichzeitig gilt es zu beachten, dass sich natürlich auch in Spanien die Wertschöpfungsketten im Bereich der erneuerbaren Energien gebildet haben und speziell die spanischen Energieversorger und großen Planungsbüros weltweilt sehr erfolgreich Projekte umsetzen. Deutsche Anbieter sollten sich daher sehr genau mit dem nationalen Wettbewerb vertraut machen. Im besten Fall können auch an dieser Stelle Partnerschaften entstehen, über die deutsche Lieferanten an Projekte auf Kontinenten wie Afrika oder speziell Südamerika gelangen. Spanien bzw. spanische Partner stellen in diesem Sinne ein wichtiges Sprungbrett dar.

Wie hilft die AHK? Welche Unterstützungsangebote gibt es konkret?

Die AHK Spanien unterstützt bei der Vermittlung lokaler Partner für deutsche Unternehmen. Mithilfe unseres Netzwerkes ermöglichen wir deutschen Unternehmen den Kontakt zu spanischen Ingenieurbüros, Bauunternehmen, Branchenverbänden und Energieversorgern, die für eine Zusammenarbeit offenstehen. Unter den Projektdurchführern befinden sich auch deutsche oder andere internationale Unternehmen, die sich bereits auf dem spanischen EE-Markt etabliert haben. Darüber hinaus bietet die AHK im Rahmen von Geschäftsreisen die Möglichkeit für deutsche Anbieter, ihre innovativen und etablierten Technologien vor einem ausgesuchten Fachpublikum vorzustellen sowie neue Lieferanten kennenzulernen. Im Juni 2022 findet eine Geschäftsreise zum Thema Energieeffizienz und erneuerbare Energien in der Lebensmittelindustrie inkl. Anwendungen für grünen Wasserstoff statt.