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Wasserstoff-Experte Werner Diwald im Online-Interview mit Veronika Hönes (l.) und Norma Kemper von der Geschäftsstelle der Exportinitiative Energie

© BMWi

Seit der Vorstellung der Nationalen Wasserstoffstrategie ist das Thema Wasserstoff überall präsent. Was tut sich gerade konkret?

Bis jetzt wurde die Zeit dazu genutzt, Barrieren für den Einsatz von Wasserstoff zu identifizieren und darüber zu sprechen, wie man diese Hindernisse beseitigen kann. Konkret ging es z.B. auch um Förderprogramme – gerade im Exportbereich. Es wurde darüber gesprochen, mit welchen Konzepten man die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie erreichen kann. Es wurden erste Anwendungsmärkte identifiziert, analysiert, wie eine Regulierung aussehen müsste, Handlungsschwerpunkte festgelegt und auch entsprechende Aktivitäten eingeleitet. Es wird beispielsweise gerade über die Umsetzung der REDII (Anm. d. Red.: Neufassung der Erneuerbaren-Energien-Richtline der EU) in nationales Recht diskutiert. Ähnlich intensiven Austausch gibt es – die nationalen Märkte betreffend – zur EEG-Umlage. Auch im Mobilitätssektor sind erste Förderprogramme in der Endformulierung, sodass sie demnächst für das kommende Jahr veröffentlicht werden können.

Das hat man alles in den letzten sechs Monaten geschafft, das finde ich sehr erfolgreich. Jetzt gilt es, beim Tempo nicht nachzulassen! Wir müssen in die Umsetzung gehen, sodass betriebswirtschaftliche Realtitäten in Form von Aufträgen und echten Energielieferungen entstehen. Das ist die große Herausforderung. Ein Ergebnis der vielen Stakeholderprozesse und auch der vielen Webinare der letzten Zeit ist: Wir müssen jetzt handeln, wenn Deutschland globaler Technologiemarktführer werden bzw. bleiben soll.

Wie ist die Branche in Deutschland derzeit aufgestellt und was können deutsche Unternehmen besonders gut?

Im Moment kann man sagen, dass deutsche Elektrolysetechnologie zur Spitzentechnologie gehört. Elektrolysebau ist klassischer Maschinenbau und das können wir! In vielen Segmenten des Maschinenbaus sind deutsche mittelständische Unternehmen globale Weltmarkführer, z.B. im Verdichterbau. Die Kompetenzen sind in Deutschland eindeutig vorhanden und lassen sich bestens auf den Elektrolysebau übertragen.

Es gibt bereits etablierte deutsche Unternehmen, die im Bereich Anlagenbau oder Gastechnik arbeiten und sich jetzt auch auf Wasserstoff einstellen. Damit beweisen sie, dass ein Transfer auf die Elektrolyse möglich ist. Es gibt durchaus auch Start-ups, die eine gute Elektrolyse entwickeln. In Deutschland traue ich das vielen Unternehmen zu. Die Herausforderung besteht darin, den Prozess auf eine Serienproduktion in industriellem Maßstab mit gleichbleibender Qualität zu skalieren. Dafür ist der gegenseitige Austausch hilfreich und auf eine solche Community können Unternehmen in Deutschland zurückgreifen.

Bei Wasserstoff reden wir nicht einfach nur über Elektrolyse, sondern über ein System aus erneuerbaren Energien, Elektrolyse und Fischer-Tropsch-Synthese, um E-Fuels zu produzieren oder Wasserstoff in Gasleitungen einzuspeisen. Wir reden also von Systemlösungen. Dabei sehe ich den größten Know-how-Vorsprung gegenüber allen anderen Akteuren. Wir haben uns immer darin bewiesen, dass wir sehr gute Systemlöser sind und Schnittstellenkompetenzen aufweisen. Nicht umsonst werden deutsche Unternehmen global für komplexe Projekte angefragt. Wir haben Expertise in erneuerbaren Energien und jetzt kommt die Elektrolyse dazu. Diese Kombination gibt uns den entscheidenden und aktuell noch zeitlichen Vorsprung.

Ich bin überzeugt, dass wir einen sehr großen Marktteil der globalen Elektrolysenachfrage abdecken können, aber wir müssen jetzt aktiv werden.

Pilotprojekte sind wichtig, um eine Nachfrage zu generieren. Einige Projekte gibt es schon. Welche Chancen bieten solche Referenzanlagen?

Wir müssen weg davon, möglichst viele Projekte machen zu wollen, um überall ein bisschen präsent zu sein. Die Projekte müssen eher einen industriellen Charakter haben, sie sind vielmehr Marktdemonstrationsprojekte. Die Unternehmen sollten solche Projekte als Initialzündung für den Aufbau einer industriellen Fertigungskapazität nutzen. Dafür braucht es ein entprechendes Auftragsvolumen. Nur so kommen Unternehmen in die Entscheidungssituation, eine industrielle Serienfertigung mit entsprechender Infrastruktur aufzubauen. Ein Stück weit ist das natürlich mit einem unternehmerischen Risiko verbunden. Aber wenn das Marktpotenzial gegeben ist, sind Marktdemonstrationsprojekte ein guter Baustein.

In welchen Märkten sehen Sie besonders großes Potenzial?

Attraktive Wasserstoff-Märkte sind aus meiner Sicht zum einen die Märkte, in denen aufgrund von Unterstützungsangeboten sehr schnell Projekte initiiert werden können. Zum anderen sollte man die strategischen Lieferländer ins Auge fassen, die nicht nur für die deutsche, sondern auch für die europäische Energieversorgung ein enormes Potenzial haben. Dort sollten wir es deutschen Unternehmen durch Marktdemonstrationsprojekte ermöglichen, ein Netzwerk und Geschäftsbeziehungen aufzubauen, damit sie, wenn dann das Marktdesign und die Nachfrage da sind, auf dieser Basis expandieren können.

Wichtig ist auch, die Märkte perspektivisch zu betrachten. Deutschland wird auf den Import von Wasserstoff angewiesen sein. Daher sollte man auch die Frage stellen: Was kostet letztendlich das angelieferte Produkt in Europa? Durch die Pipeline, die uns mit der Ukraine verbindet, ist das Produkt, das in Europa ankommt, vergleichsweise günstig. Auch Chile ist ein interessanter Markt, allerdings nicht vordergründig unter der Perspektive der Energieimporte. Die Projekte sind eher für die chilenische Energieversorgung prädestiniert. Chile ist für die deutschen Elektrolysehersteller und Anlagenbauer somit trotzdem ein spannender Zielmarkt. Dem politisch begleiteten Aufbau von Wasserstoffpartnerschaften wird für den Erfolg der deutschen Wasserstoffindustrie eine Schlüsselrolle zukommen, daher nimmt dieser auch berechtigterweise einen strategischen Schwerpunkt in der Nationalen Wasserstoffstrategie ein.

In meinen Augen kommt es auf eine Parallelstrategie an – einerseits Anlagenexport für die Energieversorgung vor Ort, andererseits Aktivitäten in Märkten für unseren anfänglichen Energieimport. Hier spielen die Ukraine und andere Staaten Süd- und Osteuropas eine Rolle. Über das Pipeline-System können z.B. auch Bulgarien und Rumänien mit eingebunden werden. Auch Nord- und Westafrika haben großes Potenzial. Mit den Ländern der ECOWAS wird eine Wasserstoff-Partnerschaft angestrebt. Außerdem bietet auch der strategische Fokus der 2x40GW Initiative der Europäischen Kommission große Chancen für deutsche Unternehmen. Da sollte man dran bleiben.

Was würden Sie Unternehmen raten, die ins Auslandsgeschäft einsteigen wollen?

Der erste Punkt ist: Sie sollten auf Großprojekte setzen, da die Projektnebenkosten sonst jegliche Chance auf ein profitables Projekt außer Reichweite stellen. Der zweite Punkt betrifft die Bewertung des Länderrisikos. Hier gibt es häufig Missverständnisse. Unter den Rahmenbedingungen, dass es aus Deutschland für Wasserstoff eine gesicherte Abnahme gibt, können sich für das selbe Land ganz andere Bewertungsrisiken ergeben als für bisherige Erneuerbare-Energien-Projekte. Ein weiterer Rat ist, dass man sich frühzeitig in Konsortien zusammenschließt. Wir reden über eine Wertschöpfungskette, dazu gehören der Transport des Produkts und die lokale Produktion. Und wenn wir über den Import von Wasserstoff sprechen, dann benötigen wir vor Ort auch erneuerbare Energien. Man muss eine Gesamtlösung mitbringen. Damit kann man sich als deutscher Anbieter von anderen absetzen. Keiner will einfach nur einen Elektrolyseur kaufen, sondern Wasserstoff produzieren und verkaufen. Deshalb ist mein Ratschlag, sich frühzeitig Partner zu suchen, um die komplette Wertschöpfungskette abzudecken. Außerdem ist das Gesamtkonzept so innovativ, dass man eigentlich noch keine Projekte vor Ort findet. Unternehmen müssen also die Initialarbeit übernehmen und gemeinsam mit lokalen Partnern ein Projekt kreieren.

Wie beeinflusst die Corona-Pandemie derzeit die Entwicklung und wie sieht langfristig die Zukunft von Wasserstoff aus?

Ich sehe die Pandemie im Moment im Zuge der Projektvorbereitungszeit als Chance, um deutschen Unternehmen eine gute Position zu geben. Wenn wir jetzt die Zeit zur Marktvorbereitung nutzen, haben wir hoffentlich im Sommer nächsten Jahres die Möglichkeit, konkrete Aufträge in die Realität umzusetzen. Das würde auch super zu einem Post-Corona-Programm passen. Ich sehe große Chancen, dass auch in anderen Ländern ein Marktdesign für grünen Wasserstoff entstehen wird. So wird auch auf europäischer Ebene Wasserstoff eine Rolle spielen und im Rahmen des Green Deals werden sich Märkte in ganz Europa entwickeln. Wir sollten dann bereit sein und Synergien nutzen. Die Voraussetzungen sind gut, man muss jetzt raus aus dem Reden und rein ins Machen kommen.

In der Politik wird Wasserstoff häufig als „Öl von morgen“ bezeichnet. In diesen Dimensionen muss man denken. Wir reden über die Möglichkeit eines neuen deutschen Wirtschaftswunders. Das klingt zunächst sehr visionär, aber wenn man sich die Zahlen des globalen fossilen Energiehandels anschaut und die Ziele zur Defossilisierung bis 2050 ernst nimmt, dann werden die wirtschaftlichen Dimensionen des grünen Wasserstoffmarktes von Morgen deutlich. Diese Dimension müssen wir bei unseren strategischen Abwägungen und Entscheidungen im Fokus haben.