Dr. André Deinhardt vom Bundesverband Geothermie im Interview mit Manuel Schwerdtfeger(l.), Regionalmanager für Europa, und Laura Leypoldt, Projektmanagerin Kommunkation.

© Geschäftsstelle der Exportinitiative Energie

Steigende Energiepreise, Energieautarkie sowie die Notwendigkeit einer Wärmewende sind derzeit in aller Munde. Erlebt die Geothermie-Branche eine Renaissance?

Ja, das kann man so sagen. Der Grund ist, dass wir als Geothermie-Branche für zwei dringende Probleme von heute Lösungen haben. Wir können gleichzeitig klimafreundliche Energie und regional verfügbare Energie mit Hilfe von Geothermie zur Verfügung stellen. Wir können die Energie nutzen, die hier direkt unter unseren Füßen permanent verfügbar ist. Wir sind damit unabhängiger von externen fossilen Zulieferungen.

Für den Wärmemarkt wandeln wir am effizientesten erneuerbaren Strom in Wärme um und haben den kleinsten CO2-Fußabdruck in der Wärmeerzeugung. Zur Bekämpfung des Klimawandels haben wir vielleicht nicht die eine Lösung, aber einen wichtigen Baustein dafür – im Konzert der erneuerbaren Energien!

In Zahlen: In Europa arbeiten derzeit 2 Millionen oberflächennahe geothermische Wärmepumpen. 142 Tiefengeothermie Anlagen zur Stromerzeugung mit einer elektrischen Leistung von 3,4 GW sind installiert. Das entspricht ca. 19 TWh pro Jahr oder auch 3,5 Kernkraftwerken. In Europa gibt es 364 Fernwärmesysteme.  Alleine 14 wurden in 2021 installiert. Sie bieten insgesamt 5,6 GW thermische Leistung.

Geothermie ist ja die Gesamtbezeichnung aller thermischen Energie, die im Erdboden gebunden ist. Es gibt Oberflächennahe und Tiefengeothermie: Was ist der Gamechanger für die globale Wärmewende?

Die Voraussetzungen für die beiden Bereiche der Geothermie sind unterschiedlich, ihr Einsatz lohnt sich daher in verschiedenen Kontexten. Anlagen in Oberflächennähe bieten sich dort an, wo ich große Einzelgebäude oder eine Reihe von Einzelgebäuden gibt, bei Wärmesenken ohne Fernwärmeleitung oder bei niedrigen Vorlauftemperaturen. Auch zum passiven Kühlen eignet sie sich. Kühlung wird zunehmend wichtiger, in Deutschland werden 20 TWh pro Jahr nur für Kühlung gebraucht. 

Im oberflächennahen Bereich ist der Boom schon da. Und das bedeutet auch, dass die Firmen, die diese Anlagen planen, bohren und installieren weitgehend ausgelastet sind. Die Roadmap zur Oberflächennahen Geothermie des Fraunhofer Instituts IEG zeigt, dass derzeit im Jahr circa 28.000 Erdwärmepumpen in Deutschland gebaut werden. Es gibt momentan 435 000 oberflächennahe Anlagen in Deutschland. Zur Erfüllung der Klimaschutzziele sind aber deutlich mehr geothermische Wärmepumpen notwendig. Es fehlen die Fachkräfte: Zurzeit werden pro Jahr nur circa 34 Brunnenbauer mit Spezialisierung auf Geothermie ausgebildet. Dies muss und wird sich ändern.

Tiefengeothermie hat generell längere Vorlauf- und Planungszeiten. Es handelt sich um Großanlagen für bis zu 80 000 Haushalte. Das benötigt Infrastruktur. Der Boom kommt auch hier - aber etwas verzögert. Der Bau einiger Anlagen startet in 2022/23.

Tiefengeothermie lohnt sich vor allem dort, wo große Wärmesenken vorhanden sind. Das kann in der Industrie sein, wenn zum Beispiel große Gebäude beheizt werden oder wenn viel Prozesswärme gebraucht wird. Oder man hat beispielsweise ein großes Fernwärmenetz. Eine geologische Voraussetzung sind hydrothermale Vorkommen: Wasser, das in der Erde gebunden ist. Dann bietet sich tiefe Geothermie direkt an: Man hat den geringsten CO2-Fußabdruck und geringe Gestehungskosten.

Die Roadmap zur Tiefengeothermie spricht von über 300 TWh, die pro Jahr durch tiefe Geothermie bereitgestellt werden könnten. Zusammengerechnet mit den 600 TWh aus oberflächennaher Geothermie würde das einen wesentlichen Teil des Wärmebedarfs in Deutschland decken. Ein „Gamechanger“ ist also der Mix aus beiden: In dicht besiedelten Gebieten Fernwärmenetze, in Gebieten mit weniger dichter Besiedlung oberflächennahe Lösungen. Der Fokus liegt auf dem Wärmemarkt - während andere erneuerbare Branchen ihren Schwerpunkt klar auf den Strommarkt legen.  50 Prozent des Primärenergiebedarfs in Deutschland besteht aus Wärme für Gebäude und Industrie. 

Welche Rolle spielen deutsche Unternehmen auf den globalen Märkten?

Auch international passiert gerade viel: Hochenthalpiegebiete mit vulkanischer Aktivität wie zum Beispiel Island oder Indonesien setzen den Fokus auf Stromerzeugung. In den Niederenthalpiegebieten zu denen Deutschland und beispielsweise Frankreich, Polen und Österreich zählen, zeigt der Wärmemarkt gerade eine dynamische Entwicklung. Auch die hohen Gaspreise machen den Ausbau dort wirtschaftlicher.

International liegt der Fokus der Branche auf dem Wärmemarkt. Im Planungsbereich sind die deutschen Unternehmen weltweit erfolgreich. Teilweise gehen auch Bohrunternehmen ins Ausland. Auch technologische Komponenten wie Bohranlagen, Rohre, Bohrköpfe oder Komponenten für Pumpensysteme werden in Deutschland hergestellt und exportiert. Ein innovativer Bereich, in dem Deutschland erfolgreich ist, ist die Generierung und Modellierung von geologischen Daten. Wir können inzwischen bis 5000 m tief in die Erde schauen.

Welche Märkte sind für welche Technologien von Bedeutung? In welchen Ländern/Regionen steht der Ausbau von Geothermie-Projekten bevor? Wie ist die weltweite Dynamik?

Im europäischen Ausland gibt es viele Chancen und Optionen. Hier liegt der Schwerpunkt der Exporte und Verflechtungen. Auch beispielsweise Ostafrika, Zentralamerika und die Türkei können wichtige Märkte für die Geothermiebranche sein. Hier liegt der Schwerpunkt auf Stromerzeugung und die Finanzierungsfrage ist ausschlaggebend. Was deutsche Unternehmen hier vor allem beitragen können sind die Themen Daten, Planung, Umweltrisikoeinschätzung und ähnliche Dienstleistungen.

Der Export muss ein Pfeiler der deutschen Geothermie Branche sein. In der Zukunft vielleicht sogar stärker als in der Vergangenheit. Natürlich generieren wir Wertschöpfung, wir haben aber auch einen Klimaschutzauftrag. Wir müssen die Technik weiter skalieren, Kosten senken und vor allem auch unser Umwelt-Know-how mitbringen.

Welche Innovationen stimmen Sie optimistisch für den weiteren Ausbau?

Es gibt viele erfolgversprechende Innovationen im Markt, beispielsweise 3D Seismik und die Digitalisierung und Modellierung von geologischen Daten. Früher brachte man eine Bohrung nieder und orientierte sich im Wesentlichen am Bohrklein (z.B. anhand bestimmter Muscheln, die einem Erdzeitalter zugeordnet werden können), in welcher Erd-/Gesteinsschicht man gerade bohrt. Mittlerweile ist das High-Tech, da kann man in 3000 Metern Tiefe 10 Meter nach vorne schauen. Wenn ich weiß, was unter meinen Füßen ist, dann weiß ich auch, wo sich das heiße Wasser befindet, und kann genau dorthin bohren.

Ebenfalls innovativ ist die stoffliche Nutzung des Thermalwassers. Unternehmen arbeiten an der Gewinnung von CO2-freien Lithium aus Europa, das ändert das Spiel im Bereich Batterien. Im Thermalwasser des Oberrheingrabens beispielsweise ist Lithium gebunden, das extrahiert werden kann, während gleichzeitig die thermische Energie zum Beheizen und Kühlen von Gebäuden genutzt wird. Hier sind die Temperaturen so hoch, dass auch der notwendige Pumpenstrom direkt mit Hilfe der Geothermie produziert werden kann. Dem weiteren Ausbau sehen wir optimistisch entgegen, weisen aber auch auf Hemmnisse wie den Fachkräftemangel und die derzeitigen Genehmigungsverfahren hin.